„Den wahren Dienern des wahren Gottes und den aufrichtigen Verehrern unseres Herrn Jesu Christi und seinen Heiligen. Einhard der Sünder“ ist als Widmung der „Translatio et Miracula Sanctorum Marcellini et Petri“ zu lesen, die Einhard etwa um das Jahr 830 verfasste. Sie beschreibt in vier Kapiteln die Übertragung der von Ratleik in Rom besorgten Reliquien der unter dem römischen Kaiser Diokletian bereits 304 nach Christus als Märtyrer gestorbenen Heiligen. Deren Gebeine fanden zuerst in Michelstadt-Steinbach und später in der Krypta unserer Einhardsbasilika ihre letzte Ruhestätte: Grund für die Überführung nach Seligenstadt war die Nähe Steinbachs zum bedeutenden Kloster Lorsch und seinem bekannten Soldatenheiligen Nazarius aber sicher auch die verkehrsgünstigere Lage am Main und einem Rompilgerweg. Einhard schildert ausgiebig die Wunder, die die Heiligen vollbrachten, wodurch Obermulinheim zu Seligenstadt und Seligenstadt zu einem berühmten Wallfahrtsort wurde, schweigt aber über alles, was ihn persönlich oder seinen Besitz betreffen könnte.
So werden die Reliquien bei ihrer Ankunft in Obermulinheim „in die von ihnen befohlene Kirche“ gebracht (die 1840 abgerissene Laurentiuskirche), bevor sie in die in der Translatio erwähnte „basilca nova“ (die 1817 abgetragene Pfarrkirche auf dem Alten Friedhof) gelangten. Die dort abgehaltenen Metten, Gottesdienste, Vespern, Lesungen und Gebete, denen Einhard von einer Empore aus beizuwohnen pflegte, werden akribisch aufgezählt. Er berichtet nicht nur vom großen Zustrom der Gläubigen sondern auch über besondere organisatorische Vorgänge: Es ist von Geistlichen die Rede, die zur Wache in der Kirche bestellt sind, von Brüdern für die Versehung des Gottesdienstes, schließlich von der Bitte eines Mönchs um Aufnahme. Ein blinder Aquitanier, Albricus, findet wohl schon 828 gastliche Aufnahme im Haus des Küsters, bleibt „fast zwei Jahre an diesem Ort“ und hat regelmäßig Erscheinungen der Märtyrer, deren Botschaften er auch an Einhard weitergibt. Auch Einhard selbst muß in der Nähe der alten Pfarrkirche gewohnt haben, wie er in seinen Briefen öfters vermerkt. Ratleik, sein Geheimschreiber und erster Abt des Klosters, berichtet von dieser Zelle „wo ich (Einhard) zu ruhen pflegte“. Somit ist anzunehmen, dass sich schon bald nach Ankunft der Märtyrerreliquien eine klosterartige Gemeinschaft bildete. Wenn sie auch noch nicht nach der Regel des Heiligen Benedikts lebte, so dürfen wir hier doch die Anfänge der späteren Benediktinerabtei vermuten.
Herbert Reiß