Wie in anderen Städten bestimmten im Mittelalter Zünfte das soziale Leben auch in unserem Städtchen und regelten das Zusammenspiel zwischen Bürgern, städtischen Behörden und übergeordneten Regierungsstellen. Sie waren darüber hinaus auch wirtschaftliche Genossenschaften mit gewerbepolizeilichen Befugnissen, erstellten Rechte und Pflichten ihrer Mitglieder, der Meister und Gesellen, schrieben die Lehrlingsausbildung vor und beaufsichtigten deren Erziehung. Sie legten die Ordnung für Gesellen- und Meisterprüfungen fest, schlichteten Streitfälle unter Zunftbrüdern und regelten den Wettbewerb innerhalb der Stadt. Im Mittelalter übernahmen sie sogar militärische Aufgaben: So trugen sie zur Erhaltung der Wehrfähigkeit bei, indem sie die Stadtgräben gemeinsam „ausfegten“ und instand halten mussten.
Andererseits waren Zünfte auch religiös-kultische Bruderschaften: Sie besuchten regelmäßig die Gottesdienste am Sonn- und Feiertagen und sorgen für die Kerzenbeleuchtung. „Am 30. Mai 1649 klagten die Deputierten der sieben Zünfte beim Stadtrath, dass die Pfarrkirche schon seit etlichen Jahren verschlossen bleibe, mithin die Zunftleuchter nicht erleuchtet werden könnten.“ (Franz Hell, Ortschronik Seligenstadt) Auch hielten unsere Zünfte öffentliche Versammlungen an Festtagen in der Kirche ab und veranstalteten feierliche Prozessionen in der Stadt.
Am Ende des Mittelalters gab es in Seligenstadt acht Zünfte – artverwandte Gewerbe waren damals der geringen Einwohnerzahl wegen in einer gemeinsamen Zunft zusammengefasst. 1820 bestanden bereits 12 Zünfte, die sich jedoch schon gegen Ende des Jahrhunderts aufgrund des Einsetzens der Gewerbefreiheit wieder auflösten. Heute gibt es noch die Fischerzunft von 1546, die auch immer gern gesehener Gast auf dem Zunft- und Handwerkermarkt im Kloster ist.
Im Landschaftsmuseum sind einige Zunft-Erinnerungsstücke ausgestellt: So die höchst elegante, mit Intarsien geschmückte Zunftlade der Schreiner mit herabklappbaren Eisengriffen zum Tragen oder die Petschaft „DERER HAMMER ZUNVT IN SIGEL IN SELIGENSTATT 1731“ mit den in Eisen gravierten Handwerksemblemen: dem Hufeisen der Schmiede, dem Hobel der Schreiner, dem Schlüssel der Schlosser, dem Wagenrad der Wagner, dem Dreipass der Glaser und der Spindel der Drechsler.
Herbert Reiß