„Licht-her-zu-mir“

„Licht her zu mir“ ist auf unserem heutigen Lieblingsstück zu lesen, das 1943 während Kanalarbeiten in Seligenstadts Oberstadt gefunden wurde. Dabei handelt es sich um einen Model aus feinem, fast gelblichem Ton, dessen Durchmesser nur acht Zentimeter beträgt, im Museumsraum „Stadtbefestigung“ zu finden ist und eine doch recht frivole Darstellung zeigt.

Was ist zu sehen? Eine Nackte, wohl proportioniert und dem Schönheitsideal des ausgehenden Mittelalters auf vollkommene Weise entsprechend, erhebt sich aus ihrem Badezuber. Den Vorhang hat sie schwungvoll zur Seite gezogen und greift beherzt nach einem Mann im Narrenkostüm. Auf dem ihr zugeordneten Spruchband ist das „licht (komm) her zu mir“ in gotischen Lettern zu entdecken. Ihr Opfer aber wendet sich zur Flucht und antwortet entrüstet: „das-ist-my-usgange“. Das Verhalten des Narren entspricht damit dem religiös begründeten Anliegen, sich von den oberflächlichen Lustbarkeiten sinnenfrohen Lebens loszusagen und die der turbulenten Fastnacht folgenden Fastenzeit als Vorbereitung auf Ostern in Würde zu begegnen.

Der Model, der um das Jahr 1480 datiert, lenkt unseren Blick auf das Baden. Baden war im Mittelalter weitverbreitete Sitte und wurde zur Hebung des Lebensgefühls als unentbehrlich betrachtet. Denn Baden diente nicht nur der Reinigung des Körpers sondern auch zur Pflege sozialer Kontakte. Das Badehaus als Stätte der Geselligkeit war allen Städten gemein und bot vielfältigste Serviceleistungen: Neben Haar-, Bart- und Nagelpflege konnte man sich dort wundmedizinisch behandeln lassen oder zur Ader gelassen werden, aber auch Libertinage und gemeinsames Schlemmen war hier möglich! Für Seligenstadt nennt ein Vertrag von 1305 die Benediktinerabtei als Verpächter einer Hälfte ihrer Badestube an einen Bader namens Wignand.

Doch zurück zu den Model. Sie wurden meist von Stempelschneidern hergestellt, die auch Münzen, Medaillen oder Siegel nach Wunsch entwarfen. Zuerst schnitt man das Motiv in Solnhofer Schiefer oder Speckstein und vervielfältigte dies durch den Abdruck des Reliefs in Ton, der dann gebrannt wurde. Um ein solches „Zwischenpositiv“ handelt es sich in unserem Fall. Erneut in Ton geprägt und gebrannt entstanden dann die „Kuchelsteine“, die, wie ihr Name besagt, als Gebäckform benutzt wurden. An Festtagen waren damit hergestellte Springerle oder Lebkuchen gern gesehene Geschenke aber auch der Tradition entsprechende Abgaben an die „Obrigkeit“.

Achim Zöller M.A.