Werke fanden Anklang von Berlin bis Paris

Perlenhäkelei

Zu den viel bewunderten Exponaten im Seligenstäddter Landschaftsmuseum gehört die Ausstellung über die Perlhäkelei mit den beiden prachtvollen Abendkleidern, verziert mit Perlen, Stiften und Pailletten.

Das mühevolle und geschickte Kunsthandwerk Perlenhäkeln hatte in Seligenstadt jahrzehntelang eine große Tradition. Außer den bestickten Kleidern können im Museum viele klassische Meisterwerke an Taschen, Kragen, Gürteln und Broschen bewundert werden. Mademoiselle Cherier aus Luneville, Lothringen/Frankreich, führte im Jahr 1882 die Kunst und Technik der Perlhäkelei in der Einhardstadt ein. Eine Gedenktafel am Haus Nummer neun an der Peterstraße erinnert heute noch daran. Die Perlenhäkelei verbreitete sich von Seligenstadt aus in die umliegende Region bis in den Kahlgrund. In der Blütezeit waren über 500 Häklerinnen mit diesem Nebenerwerb beschäftigt. Die Heimarbeiterinnen erhielten von ihrem Arbeitgeber eine mit einer Musterzeichnung versehenen Trägerstoff, wie zum Beispiel Tüll, Seide, Crepe de Chine sowie die dazu notwendigen Perlen, Stifte und Flitter, wie man in Seligenstadt die Pailletten bezeichnete.

Bis etwa 1900 stellten die Firmen lose Perlen zur Verfügung, die in der Regel zunächst von Kindern auf ein spezielles Zwirn mit einer langen „Fassnadel" aufgefädelt werden mussten. Danach lieferten sie die Perlen auf Schnüren. Dies bedeutete eine Erleichterung und Zeitersparnis, denn nun mussten die Perlen nur noch „umgefädelt" werden, um den benötigten Garnvorrat zu erhalten. Bei den in Seligenstadt verwandten Perlen handelte es sich im Wesentlichen um helle und bunte Glasperlen aus dem Fichtelgebirge und dem böhmischen Gablonz.

Bevor mit dem Häkeln begonnen werden konnte, spannten die Frauen den Stoff in einen Stickrahmen. Die Musterzeichnung, die sich auf der Stoffrückseite befand, zeigte nach oben. Bei der Ausführung der Arbeit wurde die Häkelnadel mit der rechten Hand durch das Gewebe auf die Stoffvorderseite geführt. Dort befand sich der Perlenvorrat. Mit der linken Hand nahmen die Arbeiterinnen den für die Augen unsichtbaren Faden auf, führten ihn zurück und sicherten ihn mit einem Kettenstich beziehungsweise einer Luftmasche. Pro Stich kann nur eine Perle befestigt werden. Die Häklerin benötigte ein feines Gespür und viel Fingerspitzengefühl, da sie das Entstehen der Perlenarbeit nicht mit den Augen verfolgen konnte und die einzelnen Stiche nicht weiter auseinander liegen durften als es dem Durchmesser einer Perle entsprach. Noch bis Mitte des vorigen Jahrhunderts waren als Seligenstadts Manufakturen die Firmen Sophie Anzmann, Philipp Junker, Konstantin Ostheimer und Rudolf Richter bekannt, die Aufträge an Perlenhäklerinnen vergaben und die sich der Herstellung von Applikationen, Stoffen, Taschen und Gürteln widmeten. Sie stellten hauptsächlich kleine Abendtaschen, Beutel, Portemonnaies, Hand- und Unterarmtaschen für festliche Anlässe her, die sie in die elegante Modewelt bis nach Berlin, München und Paris lieferten. Durch die Globalisierung und die Konkurrenz aus Fernost verlor die Perlhäkelei ihre Bedeutung und ist heute nur noch als Liebhaberei im Museum und beim Zunft- und Handwerkermarkt anzutreffen. Ein Blick in die aktuelle Modewelt zeigt, dass das Verzieren mit Pailletten und Perlen bei den Modeschöpfern aber immer wieder eine Renaissance erlebt.

HILDEGARD FLECHSENHAR

Erschienen in der Offenbach Post am 1.10.2007
 
zurück