Unterhalb eines Modells des Wasserschlösschens findet man mein Lieblingsstück, das ich nun vorstellen möchte.
Es handelt sich um den Professzettel des Bruders Stephan, der um 1510 verfasst wurde. Eine Profess (von lat. professio – Bekenntnis, Gelübde) ist das Aufnahmegelöbnis, das jeder Mönch zu leisten hatte, wenn er sich der Regel verschrieb, unter welcher das Kloster steht, in das er eintreten möchte. In der Seligenstädter Abtei lebten die Mönche unter der Benediktinerregel, die von dem Heiligen Benedikt von Nursia (ca. 480-547) Ende des 5. Jahrhunderts verfasst wurde. Somit stellte sich Bruder Stephan unter diese Regel und wurde damit in der Mönchsgemeinschaft der Abtei aufgenommen. In seinem Gelöbnis musste er gemäß der Regel vier Hauptpunkte versprechen: Gehorsamkeit (lat. oboedientia) gegenüber dem Abt, Demut (lat. humilitas) zu sich selbst, Armut (lat. paupertas), vor allem privat, und Ortsgebundenheit (lat. stabilitas loci), die ihn an dieses Kloster band.
Solche Professurkunden waren im Normalfall nicht lang oder literarisch ausgefeilt. Auf einigen Zeilen versprachen die Brüder, sich an die Ordensregel zu halten, sich vom weltlichen Leben abzuwenden und sich gänzlich dem monastischen Dasein zu widmen. Meistens wurde Bezug auf den jeweiligen Abt, im Falle von Bruder Stephan war dies Abt Marcellinus I. (1509-1518), die Gemeinschaft der Brüder und den oder die Klosterheiligen, in Seligenstadt natürlich die Märtyrer Marcellinus und Petrus, genommen.
Die kleine Urkunde wurde in einer gotischen Minuskel, einer Schrift die bis auf wenige Ausnahmen aus Kleinbuchstaben besteht, auf einem Stück Pergament verfasst. Sie misst etwa 15x8 cm. Obwohl jeder Mönch einen solchen Professzettel verfassen musste und sich demnach zwischen der Gründung des Klosters und 1803, als das Kloster aufgehoben wurde, etliche solcher Urkunden angesammelt haben müssten, sind uns heute nur einige wenige überliefert. Zwei davon werden im Museum in Kopie ausgestellt.
Versuchen Sie doch einmal selbst die Schrift zu entziffern und das Gelübde des Bruders Stephan zu lesen.
Simone Stillger, B.A.