Das Stadtsiegel von Seligenstadt 1288

Der Reichsadler prangt noch gut erkennbar auf dem kleinen hellbraunen Wachssiegel, welches zwischen weit größeren Siegeln fast untergeht. Heute ist nur noch ein ovaler Rest übrig geblieben von dem einst runden Stadtsiegel, doch das Motiv ist noch erhalten. Der Reichsadler auf einem dreieckigen, spitzzulaufenden Schild thront unerschütterlich in der Mitte. Der Adler stellt hierbei nur dar, dass es sich um eine Reichsstadt handelt, die direkt dem König oder Kaiser unterstellt war. Von der Randumschrift sind nur noch die Buchstaben „AT“ und „SV“ zu lesen, welche mit einem Kreuzsymbol voneinander getrennt sind, wodurch eine Interpretation, wie die Umschrift gelautet haben könnte, fast unmöglich wird. Oberhalb des Schildes, sowie an den Seiten sind weitere Verzierelemente zu finden, vermutlich war es ein Muster aus Rankenpflanzen, das sich um den Schild gewunden hat.

Dieses Siegel ist für Ende November des Jahres 1288 in Seligenstadt belegt. Zu dieser Zeit war der römische König Rudolf I. von Habsburg (1273-1291) Herr über die Stadt. Zwar unterstand Seligenstadt schon seit einigen Jahrzehnten als Lehen dem Erzbischofsstuhl von Mainz, was auch in mehreren Urkunden bezeugt wurde, und dem König bekannt war, doch riss Rudolf um das Jahr 1287 die Herrschaft über die Stadt an sich. Zu Gunsten des neuen Herrn gestaltete die Verwaltung der Stadt, bestehend aus einem gewählten Schöffenkolloquium, ein neues Siegel, das dem Stand des Königs gerecht wurde, jedoch ebenso die Reichsfreiheit der Stadt betonte. Nach dem Tod Rudolfs von Habsburg 1291 wurden noch weitere Urkunden bezeugt, in denen die Stadt weiterhin im Besitz des Reiches verblieb. Dies wollten die Mainzer Erzbischöfe natürlich nicht auf sich sitzen lassen. So ging der ewige Streit zwischen Mainz und dem Reich um Seligenstadt, der 1063 mit der Übergabe der Abtei angeblich sein vorläufiges Ende fand, allerdings immer wieder neu entfacht wurde, nun nur in eine weitere Etappe über.

Ein kleines, auf den ersten Blick recht unscheinbar wirkendes, Stückchen Wachs weiß also eine Menge über die Stadtgeschichte und über die Zusammenhänge mit dem Mainzer Erzbistum zu erzählen. Gemeinsam mit den anderen Siegeln, die in der gleichen Vitrine zu finden sind, kann man sich ein sehr lebendiges Bild der vergangenen Zeit machen.

Kommen Sie doch einmal vorbei und lassen sich vom Zauber der Geschichte entführen.

Simone Stillger B.A.