Ein Stich des 19. Jahrhunderts

Das Romanische Haus, das Palatium und Teile der Einhardsbasilika bieten eindrucksvolle Beispiele romanischer Bauformen des mittelalterlichen Seligenstadt. Im Landschaftsmuseum befindet sich ein Stahlstich des 19. Jahrhunderts bezeichnet "G. Kaltenbach gezeichnet und ein G. Lösti hat es graviert in Stahl", mit Stilelementen dieser Bauten.

Friedrich I. Barbarossa erbaute das Palatium im Jahre 1188 anlässlich eines Hoftags. Die exponierte Lage am Main mit dem reichen Fischbestand und der in der Nähe liegende Bannwald Dreieich und der Spessart mit seinem Wildreichtum eignete sich hervorragend für kurze Aufenthalte der staufischen Kaiser. Dass ein schlossartiges Gebäude und keine wehrhafte Pfalz entstand, könnte in den besonderen Eigentumsverhältnissen des mittelalterlichen Ortes mit seinem Kloster gelegen haben. In "Saligunstat", der Stadt der Seligen, des Glücks und Heils, ließen die Mainzer Erzbischöfe als Eigentümer keine burgähnliche Anlage zu.

Andererseits war es vielleicht gerade die von Barbarossa angestrebte Wiederbelebung der fränkischen Reichsidee und die mit Seligenstadt verbundene karolingische Geschichte Karls des Großen, Ludwigs des Frommen und Einhards, die den Staufer zum Bau des Palatiums anregten.

Das Jagd- und Wohnschloss bildet ein in mehrfacher Hinsicht einzigartiges romanisches Bauwerk und ist durch eine, bei anderen staufischen Profanbauten wie in Gelnhausen oder Münzenberg nicht übliche, strenge Symmetrie charakterisiert. Die Mainfront läßt die Handschrift eines kaiserlichen Baumeisters erkennen, der im Burgen- und Kirchenbau erfahren war: Ein tief gründendes Fundament und senkrechte Wandvorlagen, sogenannte Lisenen, gaben dem zweigeschossigen Gebäude Halt im brüchigen Untergrund. Ursprünglich mit einem großen Satteldach aus Schiefer überdeckt zeigten sich die Schmalseiten als Schildgiebel. Die Mainfront besteht aus großen, sorgfältig zugeschnittenen roten Mainsandsteinquadern, die 1938 durch Dr. Otto Müller ergänzte Mauerkrone aus kleinformatigen, deutlich unregelmäßigen Handquadern, wie das ebenfalls im Museum ausgestellte Modell belegt. Das Obergeschoss weist drei rhythmisch gruppierte Fenstergruppen unter doppelten Überfangbögen auf und zwischen ihnen die beiden Portale.

Die linken drei Doppelfenster, jeweils aus einem Stein gearbeitet, sind schmucklos und haben eine Mittelsäule wie es auch am Romanischen Haus zu sehen ist. Dann folgt eine Fenstergruppe, ebenso schmucklos doch niedriger und schmaler und innen mit einer Vertiefung für einen Klappladen mit Holzriegelverschluss versehen. Die Säulen der beiden anschließenden Drillingsfenster hingegen zeigen feinen ornamentalen Schmuck: Kunstvoll gearbeitete achteckige oder sich auffallend verjüngende runde Säulen stehen auf attischen Basen und haben als typisches Beispiel der staufischen Kunstepoche des 12. Jahrhunderts ausdrucksvolle Schmuckkapitelle.

Der Zugang zum Obergeschoss erfolgte über Holz- und später über Steintreppen an den Seiten des Altans (Balkonvorbau) und dann durch das linke, zweifach gestufte Säulenportal, dessen Bogenfeld ursprünglich mit einem Relief geschmückt oder bemalt war, oder durch das rechte mit einem Kleeblattbogen und Lilienspitzen, Stilementen des 13. Jahrhunderts, plastischer gestaltete. Somit lässt die Fassadengestaltung auf eine Dreiteilung des Obergeschosses schließen: Rechts ein großer Festsaal, in der Mitte das verdunkelbare Schlafgemach des Herrschers und links, möglicherweise durch einen Kamin beheizbar, die Kemenate, der Wohnraum der weiblichen Hofmitglieder.

Steinmetzzeichen sprechen eindeutig für eine Datierung ins 12. Jahrhundert. Spätere Stilelemente erklären sich durch einen Umbau, der nach einem Brand um 1230 durch Kaiser Friedrich II. vorgenommen wurde. Das Seligenstädter Palatium ist somit vielleicht der älteste Schlossbau nördlich der Alpen.

Herbert Reiß